Was ist Glück? Was ist Unglück? Versteckt sich möglicherweise das Eine oft im Anderen und zeigt sich erst auf den zweiten Blick? Vielleicht kennt Ihr ja die Geschichte aus China, die von einem armen Bauern und seinem Sohn erzählt. Bereits bei Beginn ist klar ersichtlich, worum es geht. Denn die Beiden lebten in großer Armt und besaßen nur ein Pferd, das sie zur Bewirtschaftung ihres Ackers verwendeten, Als eines Tages der Gaul durchging, bekundeten die Nachbarn großes Mitleid und sprachen von einem Unglück. Doch der Bauer sah das etwas anders. Glück oder Unglück, wer kann das schon beurteilen?, war die Aussage des alten Mannes. Nachdem einige Tage vergangen waren, kam das Pferd wieder retour und brachte eine ganze Herde wilder Artgenossen mit. Glück oder Unglück, wer kann das schon einschätzen, war wiederum die kryptische Antwort des alten Bauern. Der Sohn versuchte sich daran, eines der Pferde einzureiten und wurde abgeworfen. Er verletzte sich dabei schwer, womit die Dorfbewohner wieder Mitleid zum Ausdruck brachten. Und wieder folgte die gleiche Antwort des Bauern, Unglück oder Glück, wer weiß das schon so genau….

Die Geschichte kann beliebig fortgesetzt werden, wobei es auch tatsächliche Ereignisse und Erlebnisse gibt mit der gleichen Botschaft. Für mich als Märchenerzählerin ist die Botschaft dieses Märchens klar, denn alles, was uns im Alltag widerfährt, hat einen Sinn. Auch wenn dieser nicht auf den ersten Blick erkennbar ist. Manchmal ergibt sich die Fügung erst nach einem bestimmten Zeitraum. Dennoch hatte ich es nie für möglich gehalten, dass sich ein Unglück später als Glück entpuppen kann. Bis vor einigen Tagen….

Meine Freundin ist alleinerziehende Mutter und betreut ihren Jungen, der etwas behindert ist. Deshalb lebte auch in einer kleinen Gemeindewohnung. Doch plötzlich kam ein behördliches Schreiben, das ihr mitteilte, dass der Junge ein bestimmtes Alter erreicht habe, womit eine der Sozialleistungen gestrichen wurde. Damit war auch klar, dass die Wohnung nicht mehr leistbar war. Die Sorge bei meiner Freundin war groß, immerhin ging es nicht nur um sie, sondern auch um die Betreuung ihres Sohnes. Eines Tages beim Einkauf wurde ihr die Handtasche gestohlen, viel Geld war zwar nicht im Portemonnaie, aber auch die ganzen Dokumente waren weg. Meine Freundin war verzweifelt. „Jetzt muss ich ohnehin schon eine neue Wohnung finden, meinen Sohn auf den Umzug vorbereiten, und dann ist auch noch meine Handtasche weg, So ein Unglück“, klagte sie mir ihr Leid.

Ebenso wie ich lebte sie nach der Devise, dass alles, was uns tagtäglich geschieht, im Leben einen Sinn hat. Deshalb fragte sie mich auch, sag mir, welchen Sinn das haben soll. Jetzt bin ich ohnehin schon nicht vom Glück verfolgt, und dann passiert auch noch das“. Ich konnte ihr keine Antwort geben. Doch die fanden wir einige Tage später.

Denn meine Freundin klapperte in der Folge die Behörden ab, um die Dokumente neu ausstellen zu lassen. Ihren Sohn hatte sie dabei in einer öffentlichen Betreuungsstelle untergebracht. Als sie dort eines Tages spät am Nachmittag von einem Behördenweg zurück kam, war sie sichtlich erschöpft. Die Betreuerin bot ihr eine Tasse Tee an und so kamen die beiden Frauen ins Gespräch. „Wissen Sie, nicht nur, dass ich meinen Sohn aus der gewohnten Umgebung rausreißen und umziehen muss, habe ich noch zusätzlichen Stress und Sorgen, weil mir jemand meine Handtasche geklaut hat“, klagte sie ihr Leid ihrem Gegenüber. „Da kann ich vielleicht weiterhelfen“, antwortete die junge Frau,“ bei uns im Haus ist gerade eine freundliche Wohnung frei geworden, die hell und behindertengerecht adaptiert ist“. Meine Freundin konnte ihr Glück kaum fassen, so wurde aus der geklauten Handtasche ein Kontakt, der in einem neuen Zuhause für sie und ihren Sohn geendet hat.

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